Fallbeispiel

Problempferd und seine Entwicklung!

Fast ist nun 1 Jahr vergangen und das Erlebte Revue passieren zu lassen und euch einen Einblick in unsere Arbeit zu schenken.

Mit einer Email begann der gemeinsame Weg mit Lou!

Hallo Frau Völkel,

ich habe vor 3 Jahren einen Donnerhall Nachkommen gekauft. Er war 7 Jahre und auf dem Stand eines 4 jährigen.. Absolut nicht ausbalanciert und konnte nichts, aber sehr fein in der Hand. In den 3 Jahren habe ich Unterricht genommen und ihn in Beritt gegeben. Er musste immer überzeugt werden, zu arbeiten, aber wenn der Gang drin ist, läuft er sehr gut, außer im Galopp in der Halle.. Im Gelände kein Problem.. Alle Gangarten und absolut nicht schreckhaft. Hatte schon einige Reitbeteiligungen, die ihn in der Halle absolut nicht ans Laufen bekamen und mit der letzten hat er das steigen angefangen. Blockiert, steigt, schlägt nach dem Schenkel und geht keinen Meter. Vorher lief er bei mir, aber letzten Sonntag das gleiche bei mir.. Ich arbeite ihn sehr abwechslungsreich.. Er liebt Zirzensik und Bodenarbeit, was ich auch immer mache, aber weiß mir momentan keinen Rat mehr. Gesundheitlich ist er durchgecheckt und fit. Hoffe, dass Sie mir helfen können und würde mich freuen, wenn wir kurzfristig mal einen Termin machen könnten.

Soweit so gut! Die ersten Fragen schossen mir in den Kopf.

1. wie ist sein jetziger Ausbildungsstand? Welche Entwicklungsschritte hat er in den 3 Jahren gemacht?

2. Was möchte die Besitzerin, wo liegt ihr Schwerpunkt? Was möchte sie erreichen?

3. Von wem und was genau wurde gesundheitlich untersucht?

4. Was ist passiert dass das Pferd anfängt zu steigen?

5. Ist er wirklich zu 100% gesund?

Das waren die Antworten auf meine erste Mail!

Bis jetzt ist das Pferd würde sagen auf A Niveau, wobei ich wie gesagt, beim galoppieren in der Halle Probleme habe. Er wurde 1x wöchentlich von unserer Reitlehrerin geritten, wo er auch galoppiert.  Nur wenn es an die Arbeit geht, ist er am Anfang stur, danach läuft er aber sehr gut. Er wurde osteopathisch untersucht. Hat aber körperlich nichts. Da bin ich mir 100% sicher.

Ehrlich gesagt hatte ich da schon ein ganz anderes Bild und Gefühl zu dem Pferd!

Die erste Begegnung!

War erschreckend und eindeutig!

1. Beim putzen und satteln schon zeigten sich schon die ersten Anzeichen von Unwohlsein.

2. Schritt reiten, in der Reithalle, nur sehr widerwillig, schleichend, falsches treiben der Reiterin

3. Antraben nicht mehr möglich, sofortiges steigen auf die Hilfengebung. Die Reiterin sprang direkt vom Pferd!

Um herauszufinden wie und was das Pferd fühlt, musste ich selber aufsteigen und schauen was passiert.

Mir kam sofort eine Welle von Emotionen und Gefühlen entgegengeflogen, das war richtig alarmierend!

Er vermittelte das Gefühl von abgrundtiefem Hass gegenüber dem Reiter und dass er mit allen Mitteln dagegen angehen wird.

Es war sofort klar das Lou in seiner eigenen „Zwangsjacke“ steckte. So etwas habe ich noch nie auf einem Pferd in dieser Form gespürt.

Bei dem kleinsten Gedanken den nächsten Schritt zu tätigen rollt er sich ein, tritt, steigt, verweigert jede Zusammenarbeit, beißt sich in die Brust und das Chaos nimmt seinen Lauf. Gegenwehr auf jeder Ebene.

Selbst das einfachste Anreiten im Schritt war nicht möglich. Nur unter den Bauch treten und steigen. Er war war völlig überfordert da ich die Zügel auf den Hals gelegt hatte und mein treiben völlig anders war.

Um die „Zwangsjacke“ zu öffnen, schossen mir die nächsten Optionen für Lou durch den Kopf. Ein neuer Plan musste her.

Lässt er sich im Gelände reiten? Antwort ja klar! Also Tür auf und ab ins Gelände. Bis zur ersten Kreuzung und da war dann auch schon Ende.

Nächste Frage „lässt er sich am Reitplatz reiten? Antwort ja klar!

Am Platz zeigte er dasselbe Verhalten wie zuvor. Als würde er immer wieder die Replay-Taste drücken.  Für mich war es erschreckend und entsetzlich, immer wieder die Rückmeldung zu bekommen, dass er mich am  liebsten „umbringen“ möchte! Selbst ein einfaches Schultern weichen lassen war nicht möglich! Völlig überfordert, aber doch irgendwie offen, drehte er sich zumindest zu mir um und schaute mich an. Die krasse Reaktionen auf die Hilfen konnten nicht nur gegen den Reiter sein, sondern mussten auch Schmerzen beinhalten.

Mein unerschütterlicher Wille dem Pferd helfen und verstehen zu wollen, brachte mich zu meiner nächsten Option: „ich hätte gerne eine Longe“ Antwort: Um Gottes Willen, er lässt sich seit über 2 Jahren nicht mehr longieren. Er geht durch Absperrungen, reißt sich los, steigt, zieht Spuren in den Sand und geht nicht!  Dabei haben sich die Reiter verschiedene Blessuren eingefangen.

Es gestaltete sich sehr schwierig, aber ich konnte ihn dann mit meiner Körpersprache und meiner Energie dazu bewegen, um mich  herumzulaufen. Es war schleppend, aber ich habe es geschafft ihn in die Bewegung zu bringen.

Mir war sofort klar, den beiden kann ich helfen!

1. Erkennen welche körperlichen Einschränkungen er hat. Ich hatte ja schon beim putzen und satteln gemerkt, das was nicht stimmt!

2. Lou verstehen und einen entsprechenden Plan entwickeln, um die Konditionierungen zu durchbrechen und somit zu lösen.

Normalerweise würde solch ein schwieriges Pferd zu mir holen, um täglich mit ihm zu arbeiten. Das ging aber aus verschiedenen Gründen  nicht und wir einigten auf eine Zusammenarbeit 2 x die Woche.

Erster Schritt war mit meinem Eavet (Metavital Horse) in den Stall zu fahren und herauszufinden, was ihm fehlt. Er hatte eine Magenschleimhautentzündung. Es zeigten sich verschiedene Erreger im Magen und der Darm war auch nicht in Ordnung. Zusätzlich brauchte er noch eine osteopatische Behandlung. Futteroptimierung und Zusatzfutter wurden besprochen. Wir gaben Lou die nötige Zeit sich zu erholen.

Als es ihm gesundheitlich besser ging, fingen wir dann mit Führtraining und Longenarbeit an.

Ich brauchte unglaublich viel Ruhe, Gelassenheit aber am allermeisten eine sehr deutliche Körpersprache und Positionierung. Mit Druck kam ich eh nicht weiter und verhauen wollte ich ihn erst Recht nicht. Das hatte er zuvor zu genüge durchlebt gerade an der Longe! Also musste ich mich viel bewegen, Stabilität vermitteln, mentale Stärke beweisen, und ihm Ruhe und Geduld schenken

Die positiven Fortschritte an der Longe haben uns dazu bewegt, es nochmal mit dem reiten zu versuchen. Was soll ich sagen, das ging erstmal voll daneben. Seine Konditionierung gegenüber dem Reiter war noch so gewaltig. Ich war auch der einzige Mensch der mit ihm arbeiten durfte, auch an der Longe. Jeder Versuch, jemand anders mit zu installieren scheiterte.

Nächste Idee.. ich longiere und nehme einen Reiter mit aufs Pferd. Gesagt, getan: Einen Tag ganz gut, das nächste Mal wieder völlige Verweigerung! Ein Auf und ab, das war gar nicht schön. Wir haben seine Überforderungen gespürt und sind sofort einen Schritt zurück gegangen.

Nächster Schritt Doppellonge. Laut Besitzerin kennt Lou die DL und würde er auch gut machen, nun gut. Das eskalierte erstmal, denn das was er bisher beigebracht bekommen hat, war sehr ernüchternd. Die Not macht erfinderisch und Plan B trat in Kraft. Zu zweit und einer führte die einfache Longe, gab ihm Sicherheit und ich übernahm nur, wenn es ging und er loslassen konnte..

Parallel dazu sollte die Claudia lernen wie sie ihn richtig longieren kann. Das ging sehr schnell richtig gut, denn sie hatte jetzt viel schon durch das zuschauen gelernt und wusste, worauf sie zu achten hat. Lou war jetzt auch soweit und fing an das gut zu tolerieren. Das war nocheinmal ein großer Schritt. Dazu konnten wir anfangen auszureiten. Man bemerkte bei ihm eine Wesensveränderung, denn nach ein paar Ritten ging Lou an jeder Kreuzung einfach weiter, wo er zuvor immer gestanden hat, gestiegen ist und umdrehen wollte. Diese Ausritte waren für alle Beteiligten echt entspannend und wurden von mal zu mal besser. Jetzt langsam lockerten sich auch etwas seine „Zwangsjacke“ die Konditionierung dem Reiter gegenüber.

Leider hatten wir immer wieder verschieden Pausen. 1 x musste ein Sarkoid entfernt werden, was viel länger dauerte als gedacht. Dann hatte ich einen Bandscheibenvorfall und durch Urlaub und sonstiges konnten wir nicht beständig durcharbeiten. Aber auch das hat keinem geschadet und dafür ging es in den letzten Wochen nochmal richtig gut vorwärts. Durch die DL konnte ich ziemlich schnell die Blockaden lösen und er fasste weiter zu uns Vertrauen.

Jetzt muss ich erstmal ein Kompliment an meine Freundin und beste Gehilfin Lorena machen. Sie hat sich völlig fallen lassen und hat entweder gesungen oder gelacht und das auch in harten Situationen. Wir haben einen Vorteil und zwar dass wir uns ohne Worte verstehen und jeder weiß worauf es ankommt, aber vor allem, dass jeder sich auf den anderen verlassen kann. Diese Verbindung ist unsichtbar, echt magisch und was ganz besonderes. Darüber können wir den Pferden helfen und eine unglaublich gute Unterstützung sein. Sie wollte mehr wie einmal absteigen und hat mir trotzdem vertraut, weiter gemacht.

Ein großes Lob auch an Claudia! Sie konnte nur von außen zuschauen, uns lange Zeit nicht helfen, musste einiges schlucken und ihr Ego zügeln. Jetzt bekommt sie langsam, die wohlverdiente Belohnung. Vielen Dank für das Vertrauen!

Natürlich haben wir versucht ihm viel Abwechselung zu geben. Ein  Training mit Stangen oder auch von einem Handpferd aus.

Das war ganz spannend! Lou verweigerte jegliche Zusammenarbeit und gab Lorena das volle Gefühl der „Zwangsjacke“ und einer Überforderung. Sie wollte absteigen, aber sie vertraute mir und hielt diesem Druck stand und hat für Lou „gefühlt“. Das endete in einem befreiendem Weinkrampf und sie hat damit viele negative Emotionen von ihm gelöst. Wir lösen sonst auch Emotionen, aber das hat alles bekannte überschritten. Das alleine hat ganz viel Zwang und Last  genommen. Der Stallgemeinschaft fiel danach auch eine positive Veränderung an Lou auf.

Was seht ihr hier und was fühlt ihr wenn ihr das Video schaut?

Hier kommt die Beschreibung aus Lorena`s Sicht:

Lou hat mich als Reiter in keinster Weise weder akzeptiert, noch toleriert. Dieses absolute gegen mich sein, erzeugte einen unglaublichen, fast unerträglichen Druck in mir. Mein erster Gedanke: Flucht! Ich muss von diesem Pulverfass runter, doch mein Vertrauen in Anja und die jahrelange Bindung lies mich spüren, mir wird nichts passieren. Ich konnte mich ganz auf Lou`s Gefühl einlassen und fühlte, dass es sein Druck und sein Problem des sich „nicht verstanden seins“ ist, was da ans Tageslicht kam.  All das floss durch mich hindurch, gefolgt von dem Gefühl der „Zwangsjacke“, Traurigkeit, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.(Video ca. 2:35) Heulend und mit Erleichterung, diese Gefühl zugelassen zu haben und es raus zu lassen, bewegte Lou sich mit mir zusammen ins Vorwärts.

Nach dieser Trainingseinheit waren beide echt fertig und geschafft, wie man erkennt. Das gemeinsam Erlebte hat stark zusammen geschweißt!

Das war das erste Mal, dass Lorena als Reiterin mit ihren Hilfen „einsteigen“ durfte und Lou auf den treibenden Schenkel reagiert hat. Sie konnte ihn auch selbständig angaloppieren. Man erkennt, dass er mit Reiter „schwankt“ nach außen zieht und noch völlig unausbalanciert geht. Dadurch wird er auch immer wieder zu eng, das nehmen wir aber zur Zeit noch in Kauf. Er möchte sich am liebsten sofort an die Bande schmeißen und auch von da nicht mehr zurück in die Bahn gehen. Das wird bei jedem abwenden deutlich. Aber wir waren schon ganz glücklich dass er endlich wieder etwas Vertrauen zu uns aufbaut. Jeder Schritt in die Richtung wird sofort wahrgenommen und stark belohnt!

Diese Einheiten haben wir zur Stabilisierung erstmal beibehalten.

Das hat uns einen riesen Sprung vorwärts gebracht.

Im nächsten Video zeigt sich ein enormer Fortschritt beim freien Reiten. Dieses gelingt allerdings gerade nur in der Kombination, das Lorena reitet und ich vom Boden aus unterstütze. Jeglicher anderer Versuch ist bisher gescheitert, was wir erstmal akzeptieren und so das Vertrauensverhältnis stärken können. Wie ihr seht geht es zur Zeit auch nur an der Bande entlang und evtl. schon am Zirkel. Im Schritt klappt das abwenden schon recht gut.

Wir sind sind stolz, auf das, was wir bisher erreicht haben! Zu beachten ist die letztlich geringe Zeit, die uns zur Verfügung stand. Berücksichtigt man die Pausen und nur 2 Trainingseinheiten in der Woche ist das ein enormer Erfolg. Dazu können wir noch berichten das wir Claudia mit in unsere Einheiten des Reitens einbinden können und das Beide zueinander finden, zumindest schon an der Longe.

Getreu unserem Motto DU + ICH = WIR

Wir werden ganz in Ruhe weiter arbeiten und bestimmt irgenwann ein Update posten.
Ziel ist ein enspanntes Pferd, das Last aufnimmt, sich selber trägt und dabei auch viel Spaß an der Arbeit, mit dem Reiter, hat!

2 Antworten auf „Fallbeispiel“

  1. Die beste Erfahrung die mir und Lou passieren konnte…Das Name Kehrtvolte beschreibt genau meine und Lou’s Entwicklung.. Es gibt noch viel zu tun, aber die Entwicklung von Lou zeigt, daß wir auf dem richtigen Weg sind.. Danke Anja und natürlich auch Lorena 😊😘

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